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Prof. Christian Schmidt über ambulante und stationäre Pflege

Last updated on 26. Januar 2024

Gastbeitrag von Christian Schmidt MPH.

Die ambulante und stationäre Pflege unter Druck

Wie wir alle feststellen, krankt das deutsche Gesundheitssystem an vielen Stellen. Besonders betroffen von der Talfahrt der Branche ist die Pflege. Vor allem stationäre Einrichtungen für Senioren und Pflegebedürftige geraten wegen drastisch gestiegener Energiekosten und der Inflation immer stärker unter Druck.

Gleichzeitig erreicht der Fachkräftemangel auch die stationäre Pflege.

Als Folge dieser Trends sind vielerorts Einrichtungen nicht voll ausgelastet und Insolvenzen an der Tagesordnung. Waren es im Gesamtjahr 2022 insgesamt 11 Standorte, die in die Insolvenz gingen, so sind es in den ersten 10 Monaten des Jahres 2023 bereits 257. Dies entspricht etwa 21.000 Pflegeheimplätzen.

Anzumerken ist jedoch, dass nicht alle Insolvenzen zwangsläufig zu Schließungen geführt haben, denn etwa jede vierte Einrichtung konnte von anderen Betreibern übernommen werden.

Ein vergleichbarer Trend ist auch bei den ambulanten Pflegediensten zu sehen: Im Jahr 2022 waren 1.300 Insolvenzen zu verzeichnen, während bis Oktober 2023 bereits 8.100 Pleiten von ambulanten Pflegediensten vermeldet wurden. Betroffen sind hiervon 9.400 Patienten im häuslichen Umfeld.

Für den Patienten hat diese Misere der Branche erhebliche Auswirkungen, die in den kommenden Jahren noch an Dramatik zunehmen wird.

Demographie, Bedarf und Auswirkungen für Krankenhäuser

Den drastischen Personalmangel im Pflegebereich bekommen auch Krankenhäuser zu spüren. Die deutsche Krankenhausgesellschaft rechnet für 2023 mit 30.000 offenen Stellen. Im Jahr 2021 waren es noch 22.000 und im Jahr 2019 17.000 offene Stellen. Zu diesen Vakanzen kommen die fehlenden Kräfte bei ambulanten und stationären Diensten.

Ein Ende des Fachkräftemangels ist jedoch nicht in Sicht, obwohl die Jobzahlen massiv gestiegen sind. Die Barmer Krankenkasse rechnet daher für das Jahr 2030 mit einem Mehrbedarf von 81.000 Pflegefachkräften und 14.000 Pflegehilfskräften.

Verschärft wird die Lage durch den demographischen Wandel. Ab 2024 gehen die Geburtenstarken Jahrgänge (Baby-Boomer) in Rente. Dies führt zu einem Verlust von etwa 20% der Arbeitskräfte in den nächsten 4 Jahren.

Gleichzeitig altert die Bevölkerung. Waren es im Jahr 1999 noch 2 Millionen Pflegebedürftige, so sind es heute. 4,9 Millionen, also mehr als doppelt so viele.

Dieses Dilemma der Branche wird sich weitere ausweiten, denn während die Anzahl der Bedürftigen steigt, geht die pflegerische Infrastruktur wegen des Fachkräftemangels zurück. Ende 2019 waren noch 90,6 % der Betten in Heimen belegt. Ende 2021 waren es hingegen nur noch 88%, Tendenz fallend

Lösungen und Ansätze

Was ist die Antwort auf diese Misere? Zuallererst muss der Mehrbedarf in der Pflege eine zentrale Aufgabe der Bundespflegepolitik sein. Auch von Seiten der Krankenkassen sind sinnvolle Vorschläge zu hören: Die Ausweitung der Ausbildungsplätze, bessere Arbeitsbedingungen, vor allem durch eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten und eine attraktivere Entlohnung sind nur einige Elemente, die zu einer Verbesserung der Situation beitragen können.

Ein weiterer Ansatz ist die Verlängerung der Versorgungskette aus Krankenhäusern in den ambulanten bzw. Homecare Bereich.

Das ermöglicht Pflegekräften entlang der Versorgungskette zu arbeiten und je nach Lebensabschnitt stationär, ambulant oder im Homecare Bereich Patienten zu versorgen. Dieses „Job Enlargement“ ist in anderen Ländern bereits erfolgreich umgesetzt worden.

Auch der Rückgang der stationären Pflege erscheint im Europäischen Vergleich nicht zu alarmierend, denn die Pflege und Versorgung zu Hause ist in Skandinavien, den Niederlanden und England deutlich weiter ausgebaut als bei uns.

Das Wachstum der ambulanten Pflegedienste und des Home Care Bereich über die letzten 10 Jahre dokumentiert diesen Trend:

Ambulante Pflege vs stationäre Pflege (2012 bis 2021)

Fazit

Der Pflegenotstand in Deutschland wird sich weiter ausweiten, wenn nicht in allen Einrichtungen neue Konzepte der Personalrekrutierung und -Bindung etabliert werden.

Gute Beispiele sind aus anderen Europäischen Ländern, vor allem aus den Niederlanden und Skandinavien zu sehen. Hier sind die Flexibilisierung der Arbeitszeiten, das Anpassen der Arbeitsintensität an die Lebensabschnitte der Pflegenden und die Wertschätzung der Mitarbeiter wichtige Eckpfeiler. Aber, wie sagte schon William Edwards Deming so schön: „Sie müssen das nicht tun, Überleben ist keine Verpflichtung.“

Prof. Dr. Christian Schmidt im Web