Last updated on 26. Januar 2024
Verschiedene Einflussfaktoren wirken sich bereits seit einiger Zeit fundamental auf die Fachbereiche Gynäkologie und Geburtshilfe in Krankenhäusern aus, wie Prof. Dr. Christian Schmidt in seiner Untersuchung aufzeigte. Vor allem der Trend zur Privatisierung im Kliniksektor, der zunehmende Mangel an Fachkräften und die Tendenz hin zur Ambulantisierung stellen die stationäre Geburtshilfe und Gynäkologie vor bisher nicht gekannte Herausforderungen.
Eine Studie aus dem Jahr 2014 von Prof. Christian Schmidt, damals ärztlicher Vorstand der Universitätsmedizin Rostock, und Kollegen beleuchtet die Situation.
Bereits jetzt ist ein bundesweiter Trend zur Stilllegung oder Verkleinerung von Geburtshilfestationen und Abteilungen für Gynäkologie an Krankenhäusern und Kliniken zu beobachten – und der Rückgang wird sich im bisherigen Maße fortsetzen, wenn keine strukturellen Gegenmaßnahmen auf den Weg gebracht werden.
Prof. Christian Schmidt: Herausforderungen für die stationäre Geburtshilfe und Gynäkologie
Die Untersuchung, die auf der Analyse von Daten aus 231 Quellen beruht, erbrachte vier Hauptursachen für die Problemlagen vieler stationärer Einrichtungen:
- Zunehmender Trend zur Ambulantisierung, basierend auf einer um bis zu 30 Prozent gefallenen Nachfrage nach stationären Leistungen.
- Kleinere Abteilungen mit weniger als 4.000 Fällen pro Jahr leiden zunehmend an Unwirtschaftlichkeit. Der Grund ist in der fehlenden Refinanzierung der Vorhaltekosten zu suchen, vor allem bei Diensten und Versicherungen in der Geburtshilfe.
- In vielen Stationen stellt sich wachsender Fachkräftemangel ein. Gleichzeitig ist eine Feminisierung und Überalterung des Personals zu beobachten.
- Die Generation Y bei den Mitarbeitern profiliert sich durch einen grundsätzlichen Wandel bei der Auswahl der medizinischen Fächer und der bevorzugten Krankenhäuser.
Ambulantisierung schreitet zügig voran
Unterschiedliche Studien sehen voraus, dass es bis 2030 zu einer stark verringerten Nachfrage nach gynäkologischen Leistungen im stationären Umfeld kommen wird. Das Wirtschaftsprüfungsunternehmen Deloitte sieht konkret einen Rückgang um 103.000 Fälle in diesem Zeitraum.
Besonders aussagekräftig ist die Betrachtung der durchschnittlichen Verweildauer bei stationär erbrachten gynäkologischen Leistungen. Sie beträgt aktuell 4,2 Tage. Diese gegenüber anderen Fächern wie Innere Medizin mit 6,4 Tagen und Chirurgie mit 6,6 Tagen auffallend kurze Verweildauer weist darauf hin, dass hier massive Verschiebungen zu erwarten sind: Leistungen mit weniger als vier Tagen Verweildauer dürften in Zukunft immer häufiger ambulant behandelt werden.
Ausgehend von den erfassten Daten und den aktuellen Geburtenraten geht die Untersuchung davon aus, dass es in Deutschland bis 2030 zur Schließung von rund 300 Fachabteilungen für Geburtshilfe und Gynäkologie kommen wird.
Die Unwirtschaftlichkeit kleiner Stationen ist nicht dauerhaft tragbar
57 Prozent aller Allgemeinkrankenhäuser in Deutschland sind mit einer Fachabteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe ausgestattet.
Dieser versorgungstechnisch gute Wert weist allerdings einen massiven Schönheitsfehler auf: In 45 Prozent der Häuser gibt es jährlich weniger als 500 Geburten, und 46 Prozent der Einrichtungen kommen auf weniger als 1.800 Fälle für den Gesamtbereich Gynäkologie und Geburtshilfe.
Solche Häuser sehen sich bei der Wirtschaftlichkeit großen Problemen gegenüber.
Wie die Studie ergeben hat, rechnen sich Stationen für Gynäkologie und Geburtshilfe wegen der hohen Vorhaltekosten und den relativ geringen Erlösen erst bei Fallzahlen ab 4.000 pro Jahr.
Fachkräftemangel belastet stationäre Einrichtungen
Es steht zu befürchten, dass sich der aktuelle Fachkräftemangel durch die demographische Entwicklung weiter verschärfen wird.
Erschwerend wirkt sich die anhaltend niedrige Tendenz hin zu sozialen Berufen aus. Das Ranking der beliebtesten Arbeitgeber präsentiert Berufe der Gesundheitsbranche erst auf Platz 85.
Befragungen zu den Vorlieben bei der Facharztausbildung zeigen ein gemischtes Bild: Während bei der allgemeinen Befragung Gynäkologie und Geburtshilfe nicht mehr unter den zehn beliebtesten Fächern zu finden sind, gibt es eine deutliche Zunahme des Interesses bei weiblichen Studierenden.
Generation Y bringt neue Führungsaufgaben mit sich
Die gut ausgebildete, selbstbewusste und technologiefreundliche Generation Y stellt im klinischen Umfeld eine Herausforderung neuer Art dar.
Vor allem die Vorstellungen der jungen Mitarbeiter in Hinblick auf Work-Life-Balance, Führung und Verantwortung machen bei der Mitarbeiterführung in mehrfacher Hinsicht einen Paradigmenwechsel erforderlich.
Zwar lehnen Angehörige der Generation Y Hierarchien ab. Dennoch erwarten sie intensives Coaching und regelmäßige Feedbacks. Damit wird die Mitarbeiterführung komplexer und aufwendiger.
Besonders problematisch für die Bereiche stationärer Gynäkologie und Geburtshilfe ist das verringerte Interesse junger Menschen an Karriere, verbunden mit der Neigung, lieber in Teilzeit zu arbeiten.
Hier sind neue Beschäftigungsmodelle gefragt, die auf die besonderen Bedürfnisse der jungen Mitarbeiter Rücksicht nehmen.
Prof. Christian Schmidt: Gynäkologie und Geburtshilfe im Spannungsfeld von Personalmangel, Wirtschaftlichkeit und Ambulantisierung
Lesen Sie dazu auch die Online-Version der Studie von Prof. Christian Schmidt und Kollegen.
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