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Der Widerspruch der Krypto-ETFs – Dezentralität im Korsett der Regulierung: Ein Austausch mit Stephan Blohm

Zuletzt aktualisiert am 10. September 2025

Krypto-ETFs sind das jüngste Bindeglied zwischen der Welt digitaler Assets und den etablierten Strukturen des Kapitalmarkts. Sie eröffnen Investoren einen vermeintlich einfachen Zugang zu Kryptowährungen, werfen zugleich jedoch die Frage auf, ob sich ein ursprünglich dezentrales Konzept mit den strengen Vorgaben regulierter Finanzprodukte überhaupt vereinbaren lässt. Über diesen Widerspruch spricht Stephan Blohm, Spezialist für Finanzen und Kapitalanlagen, im folgenden Interview.

Herzlich willkommen, Stephan Blohm!

Herr Blohm, Krypto-ETFs gelten als das jüngste Produkt am Finanzmarkt, der sich permanent neu erfindet. Wie würden Sie deren Grundidee beschreiben?

Stephan Blohm: Krypto-ETFs versprechen Anlegern den Zugang zu digitalen Vermögenswerten, ohne dass diese sich selbst mit Wallets, Blockchains oder privaten Schlüsseln auseinandersetzen müssen. Das klingt zunächst nach einer komfortablen Lösung, birgt jedoch einen Widerspruch. Ein ursprünglich dezentrales, freiheitlich gedachtes Asset wird hier in die streng regulierten Strukturen traditioneller Finanzprodukte überführt. Ein technologisch-anarchisches Konzept wie Bitcoin trifft auf die institutionellen Rahmenbedingungen des Kapitalmarkts.

Können Sie diesen ideologischen Ursprung von Kryptowährungen näher erläutern?

Stephan Blohm: Die Entstehung von Kryptowährungen wie Bitcoin ist eng mit der Finanzkrise 2008 verknüpft. Damals herrschte großes Misstrauen gegenüber Banken, Zentralbanken und staatlicher Kontrolle. Die Antwort darauf war ein System, das auf Transparenz durch Technologie und Unabhängigkeit durch Dezentralität setzt. Die Grundidee war eindeutig: kein zentraler Akteur, keine Genehmigungspflicht, kein Vertrauen in Institutionen, sondern allein Code, Mathematik und ein globales, verteiltes Netzwerk.

Kann man ETFs als das genaue Gegenteil dessen betrachten?

Stephan Blohm: Ja, der börsengehandelte Fonds ist das Paradebeispiel für ein hochreguliertes Finanzprodukt. Er ist transparent, unterliegt strenger Aufsicht und wird zentral verwaltet. Es gibt klare Vorgaben für Reporting, Verwahrung, Preisbildung und Liquiditätsbereitstellung. Sobald ein Krypto-Asset in einem ETF abgebildet wird – sei es physisch oder über Derivate –, landet es in einer vollständig zentralisierten Infrastruktur. Von der Emittentin über die Verwahrstelle bis hin zur Aufsichtsbehörde – jeder dieser Schritte widerspricht der ursprünglichen Idee der Selbstbestimmung und Unabhängigkeit.

Warum haben sich Krypto-ETFs trotzdem so schnell etabliert?

Stephan Blohm: Gerade weil sie den regulatorischen Rahmen der klassischen Finanzwelt erfüllen, sind sie für viele institutionelle Anleger interessant. Der direkte Kauf von Kryptowährungen ist für viele aufgrund regulatorischer Hürden, operationeller Risiken oder interner Investmentrichtlinien nicht umsetzbar. Der ETF schafft hier einen Brückenschlag. Er erlaubt Engagement in digitalen Assets innerhalb eines vertrauten, akzeptierten Rahmens. So wird ein auf Unabhängigkeit ausgelegtes Asset in eine regulierte Struktur gezwungen und erhält dadurch überhaupt erst Zugang zu institutionellem Kapital. Das kann man durchaus als eine Form der regulatory arbitrage verstehen, also als Nutzung bestehender Regulierungsunterschiede zu Investitionszwecken.

Sehen Sie darin eine bewusste Geschäftsstrategie?

Stephan Blohm: In gewisser Weise ja. Der Widerspruch ist offensichtlich: Die Blockchain-Technologie verspricht Disintermediation, der ETF bringt die Mittelsmänner zurück. Die Krypto-Community will Regeln vermeiden, der ETF existiert nur durch Regeln. Aber dieses Modell funktioniert, solange alle Beteiligten akzeptieren, dass es nicht um die Bewahrung des ideologischen Kerns geht, sondern um die kapitalmarktfähige Verpackung eines volatilen Assets.

Was ist Ihr abschließendes Fazit zu Krypto-ETFs?

Stephan Blohm: Krypto-ETFs sind ein Symbol für die Spannung zwischen Innovation und Integration. Sie holen ein dezentrales, digitales Asset in die Welt traditioneller Finanzsysteme und nehmen ihm dabei genau das, was es ursprünglich ausgemacht hat. Für Puristen ist das ein Verrat. Für Anleger ein praktikabler Kompromiss. Für den Markt ein Türöffner.

Vielen Dank für das Gespräch, Stephan Blohm!


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